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Internationale Fränkische Großmeistertage
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Pressebericht
27.02.2004
VON JAN FISCHER
Lokalmatador Bezold: Vom letzten Platz ganz nach vorne
2. Internationale Fränkische Großmeister-Tage in der „Pulvermühle“ in Waischenfeld: Könner und Kenner des Schachsports treffen sich an kultiger Stätte
Ein Großmeister-Turnier im Schach ist wie ein Tennis-Grand-Prix: Die Austragung bleibt meist Städten in den Ballungsräumen vorbehalten. Die Internationalen Fränkischen Großmeister-Tage in Waischenfeld, Kreis Bayreuth, bilden eine löbliche Ausnahme: Könner und Kenner des Denksports treffen sich hier in familiärer Atmosphäre beim zweitstärksten Wettbewerb im deutschen Schach-Turnierzirkus. Und: Einer der „Hausherren“ spielt um den Sieg mit.
WAISCHENFELD – „Schachfreunde, die Runde ist freigegeben.“ Punkt 16 Uhr erklärt Schiedsrichter Rainer Niermann die Partien für eröffnet. Fortan kehrt Ruhe ein im Turniersaal. „Handys ausschalten“, mahnt ein Schild an der Tür. Das Drücken der Schachuhren, die leisen Schritte der Zuschauer und das nervöse Bein-Wippen der Spieler sind die einzigen Geräusche. So hautnah wie hier kann man Spitzenschach in unserer Region sonst nur selten erleben. Entsprechend stark ist das Zuschauerinteresse: Bis zu 100 Interessierte aus ganz Oberfranken und Mittelfranken kommen Tag für Tag. „Für Schach-Verhältnisse eine große Zahl“, sagt Cheforganisator Thomas Bezold.
Die Großmeister-Tage sind ein Familien-Unternehmen: Die drei Bezold-Brüder haben sich zusammengetan, um das Großereignis auf die Beine zu stellen. Da ist Christian, der Gastwirt der „Pulvermühle“, der Räume und Unterkunft zur Verfügung stellt. Da ist Thomas, der sich um Organisation und Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Und da ist Michael, der Großmeister, der starke Spieler nach Oberfranken lockt und selbst mitmischt. Wenn es um die Motivation geht, ein solches Turnier auf die Beine zu stellen, fällt immer wieder ein Name: Kaspar Bezold. Der Vater der Dreien. Die ersten Großmeister-Tage im Jahr 2000 hat Bezold senior noch miterlebt, wenig später ist er verstorben. Heute erinnert der Kaspar-Bezold-Weg direkt an der Gaststätte an den rührigen „Pulvermüller“.
Die „Pulvermühle“ – ihr guter, legendärer Ruf ist der zweite Grund, warum sich elf Könner aus Frankreich, Schweden, England, den Niederlanden und Deutschland zehn Tage lang im 3200-Einwohner-Ort Waischenfeld treffen. Weltmeister Tigran Petrosjan war im Jahr 1968 der erste Prominente, der in der „Pulvermühle“ zu Gast war. International sorgte die Gaststätte für Schlagzeilen, als der lange Zeit verschollene Ex-Weltmeister Robert „Bobby“ Fischer sich 1990/91 drei Monate in der Fränkischen Schweiz versteckte. Seitdem hat die „Pulvermühle“ in Schachkreisen endgültig Kultstatus. Das spiegelt sich sogar in der Speisekarte der Großmeister-Tage 2004 wider: „Bobby’s favorite“ wird hier kredenzt – leckere Schweinelendchen in Pilzsoße, wie sie Fischer gerne mochte.
Elf Runden müssen die acht Großmeister und drei Internationalen Meister bei dem stark besetzten, ausgeglichenen Einladungsturnier absolvieren. Maximale Spielzeit pro Partie: sechs Stunden. In der achten Runde muss Lokalmatador Bezold gegen den Engländer Stuart Conquest ran. „Hier geht es um einen Spitzenplatz“, weiß Thomas Bezold. Entsprechend konzentriert geht der 31-jährige Michael zu Werke. Die Kiebitze scharen sich vor allem um sein Brett, beobachten aber auch die übrigen vier Partien sowie die Duelle im Nachwuchs-Cup und Jugend-Qualifikationsturnier. Einige Waischenfelder kennen „den Michael“ schon lange: aus seinen Anfangsjahren, als er noch beim Schachclub Waischenfeld spielte. Im Jahr 1998 wurde er schließlich Großmeister – einer von wenigen, die in Oberfranken diesen Titel tragen. Mit Bruder Thomas hatte er die Idee zu den Fränkischen Großmeister-Tagen, die nun – mit Hilfe eines Pools von 15 Sponsoren – zum zweiten Mal über die Bühne gehen.
Die Partie gegen Conquest hat noch keine klaren Konturen. Selbst geübte Vereinsspieler können keine Vorteile für einen der beiden Spieler erkennen. Im Analyseraum – dorthin werden alle Partien dank moderner Internettechnik live übertragen – kommentiert Großmeisterin Almira Skripchenko an ihrem spielfreien Tag die Auftritte der Konkurrenten. „Michael und Stuart sind die langsamsten Spieler des Turniers“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Conquest hat eine scharfe Variante gewählt, setzt auf Erfolg, um sich Chancen auf das Preisgeld für die vordere Plätze zu erhalten. Erst nach fast vier Stunden tut sich Entscheidendes am Brett: Michael Bezold behält in der Zeitnotphase die Nerven und führt acht Sekunden vor der Zeitkontrolle den 40. Zug aus; nach dieser Hürde bekommt der Spieler eine weitere Stunde gutgeschrieben. Aufatmen bei den Zuschauern im Turniersaal und im Analyseraum. Skripchenko, die für Frankreich am Start ist, hat nun keine Zweifel mehr: „Michael steht auf Gewinn.“ Und sie weiß auch aus eigener Erfahrung, dass Bezold nun umdenken sollte: „Er muss jetzt die Zeitnot vergessen, sich wieder auf die neue Stellung einstellen. Jetzt geht es ins Endspiel, dafür muss er einen Plan entwickeln.“
Der Turniersaal ist derweil fast wie leer gefegt. Die übrigen Partien sind bereits beendet. Die Kiebitze haben sich in den Analyseraum zurückgezogen. Michael Bezold hat mitbekommen, dass Jan Gustafsson – der bislang Führende – nur Remis gespielt hat. Ein Sieg jetzt, und er zieht mit Gustafsson gleich. Michael steht auf, läuft einige Schritte auf und ab, lässt sich mögliche Varianten durch den Kopf gehen. Dann ist er wieder am Zug, schaut wie gebannt aufs Brett. Uhrenarmband und Daumen müssen als „Blitzableiter“ für die Nervosität herhalten. Hin und wieder ein Schluck aus dem Wasserglas, dann legt er den Kopf in die Hände: volle Konzentration auf die nächsten Züge. Im Analyseraum freuen sich die Fans schon: „Michael gewinnt, Conquest kann aufgeben.“ Und tatsächlich: Nach fünf Stunden und 25 Minuten gratuliert der Engländer dem Lokalmatador zum Sieg.
Der Computer setzt Michael Bezold im Zwischenstand auf Platz eins vor dem punktgleichen Gustafsson. „Damit hätte ich nicht gerechnet“, sagt Bezold. Insgeheim habe er gehofft, den dritten Platz der Großmeistertage-Premiere im Jahr 2000 zu wiederholen. „Ich wusste aber auch, ich kann noch besser spielen.“ Dabei sprach die Setzliste für dieses Turnier eine klare Sprache: Bezold war das „Schlusslicht“. Doch nach einer Auftaktniederlage spielte er sich nach vorne. Ein Knackpunkt war dabei die Partie in der fünften Runde gegen den Schweden Jonny Hector. Michael stand am Rande einer Niederlage, hatte nicht einmal eine Minute für die letzten fünf Züge bis zum 40. Zug auf der Uhr. „Ich habe gezittert, es war mein schlimmste Zeitnotschlacht“, sagt der Waischenfelder. Zwei Sekunden vor Ende der Zeit machte er den 40. Zug. Die Partie endete schließlich nach fast sechs Stunden remis. „Da habe ich drei, vier Stunden gebraucht, um abzuschalten.“
Für Michael Bezold ist die Teilnahme an Großmeister-Turnieren mittlerweile zu einer Seltenheit geworden: „Ich habe schon lange nicht mehr gegen so viele starke Gegner in so kurzer Zeit gespielt.“ Aus der Turnierszene habe er sich zurückgezogen, spielt stattdessen für Bundesligist Hamburger SK sowie für Vereine in Österreich und Frankreich. „Nebenbei“ schloss er noch sein Studium als Diplom-Kaufmann ab und will nun als Strategieberater eines Unternehmens ins Berufsleben einsteigen. Das Schach wird dann wohl nur noch die „zweite Geige“ spielen.
Umso mehr genießt Michael den Auftritt vor eigenem Publikum und läuft zur Hochform auf. Ganz klar: Jetzt will er „alles“, den Sieg bei den Großmeister-Tagen. Aber drei starke Gegner warten noch auf ihn. An kommende Aufgaben Partie wird er erst am nächsten Morgen denken. Bis dahin sitzt er erst einmal mit den Konkurrenten zusammen – das gibt’s nur in der „Pulvermühle“, während bei den großen Open wie in Dortmund die meisten Spieler ihre eigenen Wege gehen. Schach steht dann im Hintergrund, die Geselligkeit im Vordergrund. „Wir spielen noch Karten, und das geht bis in die Nacht hinein.“ Dennoch werden sie alle fit sein, wenn es am nächsten Tag wieder heißt: „Schachfreunde, die Runde ist freigegeben.“
Gestern – bis 22 Uhr – wurde die neunte Runde der Großmeister-Tage ausgetragen. Die Entscheidung fällt im „Finish“: Runde zehn findet am heutigen Freitag von 16 bis 22 Uhr statt, Runde elf folgt am morgigen Samstag von 11 bis 17 Uhr. Eine „Players Party“ am Samstag ab 19 Uhr schließt das Turnier ab. Die Großmeister-Tage haben auch eine eigene Homepage, die der Pegnitzer Klaus Steffan betreut: www.pulvermuehle2004.steffans-schachseiten.de . Täglich verfolgen über 4000 Interessierte die Berichte und Live-Übertragungen im Internet.